Freitag, 5. September 2008

Vom armen Mann - Meister Eckhart

Ein hoher Lesemeister erzählte in einer Predigt in einer hohen Versammlung diese Geschichte: Es war einmal ein Mann, von dem liest man in den Schriften der Heiligen, der begehrte wohl acht Jahre, Gott möge ihm einen Menschen zeigen, der ihm den Weg zur Wahrheit weisen könnte. Und als er voll starkem Begehren nach der Wahrheit war, kam eine Stimme von Gott und sprach zu ihm: »Geh vor die Kirche, da findest du einen Menschen, der dir den Weg zur Wahrheit weisen soll.«
Und er ging und fand einen armen Mann, dem waren seine Füsse aufgerissen und voll Schmutz und alle seine Kleider waren kaum drei Pfennig wert. Er grüsste ihn und sprach: »Gott gebe dir einen guten Morgen« und jener erwiderte: »Ich hatte nie einen bösen Morgen!« Er sprach: »Gott gebe dir Glück! wie antwortest du mir so?« Und er erwiderte: »Ich hatte nie Unglück.« Er sprach wieder: »Bei deiner Seligkeit! wie antwortest du mir so?« Er erwiderte: »Ich war nie unselig.« Da sprach er: »Gebe dir Gott Heil! Kläre mich auf, denn ich kann es nicht verstehn.« Er erwiderte: »Das will ich tun. Du sprachst zu mir, Gott möge mir einen guten Morgen geben, da sagte ich: ich hatte nie einen bösen Morgen. Hungert mich, so lobe ich Gott; bin ich elend und in Schande, so lobe ich Gott: und daher hatte ich nie einen bösen Morgen. Als du sprachst, Gott möge mir Glück geben, sagte ich, ich hatte nie Unglück. Denn was mir Gott gab oder über mich verhängte, es sei Freude oder Leid, sauer oder süss, das nahm ich alles von Gott für das Beste: deshalb hatte ich nie Unglück. Du sprachst, bei meiner Seligkeit, da sagte ich: ich war nie unselig, denn ich habe meinen Willen so gänzlich in Gottes Willen gegeben: was Gott will, das will auch ich, darum war ich nie unselig, denn ich wollte allein Gottes Willen.« »Ach, lieber Mensch, wenn dich nun Gott in die Hölle werfen wollte, was wolltest du dazu sagen?« Da sprach er: »Mich in die Hölle werfen? Das wollt' ich sehen! Und auch dann, würfe er mich in die Hölle, so habe ich zwei Arme, mit denen umfasste ich ihn. Der eine ist wahre Demut, den legte ich um ihn und umfasste ihn mit dem Arm der Liebe.« Und dann sprach er: »Ich will lieber in der Hölle sein und Gott haben, als im Himmelreich und Gott nicht haben.«

Mittwoch, 3. September 2008

Von der Einheit der Dinge - Meister Eckhart

"........Ich habe manchmal von einem Licht gesprochen, das in der Seele ist und das ungeschaffen und unerschafflich ist. Eben dieses Licht pflege ich allewege in meiner Predigt zu berühren, und dieses Licht nimmt Gott unmittelbar und ohne Hüllen wahr, rein wie es an sich selbst ist, und diese Wahrnehmung findet statt in der Wirksamkeit der Hineingebärung. Da kann ich wahrlich sagen, dieses Licht hat mehr Einheit mit Gott als mit sonst einer Kraft, mit der es doch im Wesen eins ist. Denn ihr sollt wissen, dieses Licht ist im Wesen meiner Seele nicht höher im Rang als die niederste oder allergewöhnlichste, die von Hunger oder Durst, Frost oder Hitze befallen werden kann, und das kommt daher, dass das Wesen einfach ist. Wenn man demnach die Kräfte im Wesen betrachtet, sind sie alle eins und gleich im Rang; aber betrachtet man sie in ihren Werken, dann ist eine viel edler und höher als die andere. Darum sage ich: wenn sich der Mensch von sich selbst und von allen geschaffenen Dingen abkehrt, so weit du das tust, so weit wirst du geeint und beseligt in dem Fünklein der Seele, das nie Zeit oder Raum berührt hat. Dieser Funke entzieht sich allen Kreaturen und will nur Gott, wie er an sich selbst ist. Er begnügt sich nicht mit Gott oder Sohn oder heiligem Geist, und nicht mit den drei Personen, sofern jede für sich in ihrer Eigenschaft dasteht. Ich sage wahrlich, eben dieses Licht begnügt sich nicht mit der Eigenhaftigkeit der fruchtbaren Beschaffenheit der göttlichen Natur.
Ich will noch mehr sagen, was noch wunderbarer lautet: ich sage in guter Wahrheit, dieses Licht begnügt sich nicht mit dem einfachen stillstehenden göttlichen Wesen, das weder gibt noch nimmt, sondern es will wissen, woher dieses Wesen kommt, es will in den einfachen Grund, in die stille Wüste, wohin nie etwas Unterschiedenes, weder Vater noch Sohn noch gedrungen ist; in dem Innigsten, wo niemand heimisch ist, da begnügt es sich in einem Lichte, und da ist es einiger als in sich selbst; denn dieser Grund ist eine einfache Stille, die in sich selbst unbeweglich ist, und von dieser Unbeweglichkeit werden bewegt und da empfangen ihr ganzes Leben alle Dinge, die vernünftig leben und sich in sich selbst versenkt haben. Dass wir so vernünftig leben, das walte Gott. Amen."